Die Kälte Deines Todes

Still ist es. Mucksmäuschenstill, und doch, da krächzen die Raben dort oben. In den Spitzen der Bäume zur pechschwarzen Nacht. Es knacken die Äste, es knistern die Blätter, es treibt der Wind fortan. Weiter und Weiter, da muss es gehen und obwohl es das nicht kann, zerfrisst das Verlangen die Spuren des Sehnens. Denn das ist es, was geblieben ist.
Stille, wo einst das Herz erwuchs.

Es glühte, es fieberte das Innere. Sich sehnte, ereiferte und verbog für nur eine Sekunde des Erlebens, die dann nur zu einer eigenen Ewigkeit wurde. Die Gesetzmäßigkeit der Unendlichkeit. Sie beginnt und endet mit nur einem einzelnen Moment, der zu allem werden kann. Bestimmung, Erlösung, das Verlangen. Ein Funke nur, der entzündet und für ein ganzes Leben antreibt, am Leben erhält.

Aber irgendwann dann endet auch die Unendlichkeit des Erlebens. Nach dem freien Flug des Lebens kommt der Absturz, der Abgrund der Nichtigkeit. Nach dem Blühen im Leben kommt die Asche des Todes. Die verfaulenden Knochen, das verrotende Fleisch in der Kiste in der Tiefe der Erde. Nach der Schönheit der Lüge kommt die hässliche Wahrheit. Die Kälte des Untergrundes. Der schon das ganze Leben an einem knabberte, sich emporfraß, bis es am Ende das Sein übernehmen durfte. Das ewige Versprechen des endenden Lebens, das die Atmenden die ganze Zeit über verfolgt. Sie ignorieren, missbilligen, blenden aus. Und doch, verschwindet es nie. So altern sie, der Verfall lässt sich nicht vom Fortschritt imponieren. Er tut sein Werk, zu Leb- als auch zu Todeszeiten.

Was dem Leben war, war ihm selber. So bliebt dem Tode seines nur. Jedem sein Anteil, seine Zeit, seine eigene Gesetzmäßigkeit. Denn das ist die Gerechtigkeit des Großen und Ganzen. Alles hatte seine Chance. Seine Momente um zu blühen und zu fliegen, die Schwingen auszubreiten. Nun aber, sind die nächsten dran. So sagt es die Logik, verspricht es der Verstand. Der Mensch aber, seiner Zeit nicht bewusst, will nicht gehen. So viel noch, so mehr noch, so unendlich und ewig muss das köstliche Leben währen. Aber um so süßer um so bitterer das Ende. Der Sensenmann kennt kein Erbarmen. Er erfüllt nur seine Jahrhunderte alte Pflicht, noch wie am ersten Tag. Er sammelt die Seelen und geleitet sie weiter. In dem ewigen Kreislauf des drehenden Rades.

Was einst blühte, ist nun verwelkt. Was einst pulsierte ist nun kalt. Was einst erzählte ist nun still. Was einst nur dachte, es jetzt nichts mehr will. So bleibt am Ende nur dieses eine Versprechen der Vergänglichkeit. Des Schwindens, des dahin Siechens, des Endens. Wenn man am Ende also wirklich nichts mehr kann als dem Schicksal zu fügen, so zählt die lebende Zeit doch doppelt. So ist sie kostbar, so wertvoll und so schnell zerronnen. Eine Sekunde, sie nur verfliegt und weg ist sie. Nicht wahrgenommen. Nicht genossen, nicht bewusst erlebt. Und so scheint sie verloren.

Aber wir haben ein Gehirn. Einen Verstand. Der speichert, der sammelt. Was kostbar und wertvoll. Was süß und einzigartig. Was bitter und traurig so schnell vorbei. So haben wir ein unendliches Lager voll an Momenten und Sekunden. An Bildern und Augenblicken. An tausend Emotionen, die uns rauf und runter schickten. Erleben können wir sie nicht mehr alle. Aber werten, analysieren und horten. In der Tiefe der Seele, im Schlummer der Träume, in der Unendlichkeit des Schlafes. Das Unterbewusstsein es tut sein Übriges für uns. Kerkermeister der verlorenen Erinnerungen. Millionen Momente, eingesperrt, weggesperrt. Aufgehoben, behütet und gesammelt. Auf dass sie uns besuchen, beeinflussen, wenn der Geist keine bewusste Kontrolle mehr hat. So ist nichts verloren, bleibt uns alles erhalten und lenkt auch uns nur weiter fort, was wir im Leben erfuhren.

Die Moral von der Geschicht? Die gibt es leider nicht. Als einzig die wertvolle Zeit, die verrinnt zwischen den Fingern. Die Momente, die wir verpassen. Zu Lieben, zu Leben, zu Lachen, auch traurig zu sein. Einsam und auch ängstlich. Denn das ist das Leben in all seinen verschiedensten Sparten. Mal so, mal so. Aber leider nun mal, irgendwann zu Ende. Keiner weiß wann oder warum. Es könnte schon morgen so sein. Dass ein Gewesen bist. Kein Sein mehr. Sondern Vergangenheit, Erinnerung, die in Blasen gen Himmel sich erheben und am Horizont entschwinden. Verblassen, bis nur noch ein grauer Schimmer übrig ist.

Drum liebe jetzt. Lache so oft es geht. Und nutze die Zeit mit den Dir nahen Menschen. Denn morgen schon, da könnte sie die kalte Hand des Todes gefangen halten. Und sie sich der Feuchtigkeit des Grabes ergeben. In der Tiefe sich zur ewigen Ruhe betten. Und was zurück bleibt ist das Nichts der körperlosen Erinnerung. Umklammert und festgehalten mit den Zangen des Geistes um nicht alles einer geliebten Person auch noch zu verlieren.

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