Bahnhof des Lebens

Die Stille übt sich keines Vergehens. Die Zeit, sie läuft so dickflüssig wie die rote Marmelade die Schneide des Messers hinunter. In Tropfen platscht sie auf die Wirklichkeit und gibt immer nur einen Ausschnitt der Gegenwart frei. Hinter trüben Augen beobachten wir die kleinen Gedanken. Wie sie kommen und gehen. Mal hierhin, mal dorthin. Und wie sie die Welten eines Verstandes bereisen, so nur sitzen wir fest auf dem Grund der Erde.

Es ist mit Nichten wichtig, wo wir sind. Wer wir sind. Und vielleicht sogar, was wir sind. Denn in diesem Moment, diesem Augenblick, da sind wir alle gleich. Mal sind wir mehr und mal weniger, Träumer, Denker, die Manifestation einer frei fliegenden Seele.

Im Verstand können wir jede Wirklichkeit besuchen. Das was war, das was sein wird und das nur ebenso, das eben gerade ist. Und so wie wir schauen, so verändern wir uns auch. Wir sind nicht stiller Passagier eines Zuges, der an den Bahnhöfen der Realität vorbeizieht. Nein. Wir sind auch Kontrolleur, der jede Gültigkeit überprüft. Wir sind Zugführer, der die Richtung angibt. Und wir sind Kunde, der von Haltestelle zu Haltestelle reist. Das Ziel, kennen wir nicht. Die Richtung können wir nur erahnen. Und auf welche Umleitungen wir geleitet werden, das wissen wir vorher so nur nicht.

An den Zwischenstops treffen wir andere Seelen. Sie eilen umher. Mal planlos und getrieben von einer unstillbaren Sucht. Mal in Muße und auf den Sitzbänken einer Rast sitzend. Wir könnten mit ihnen reden. Aber das machen nur die Wenigsten. Zu sehr sind sie in eigener Blase gefangen. Im eigenen Zeitstrom, in eigener Reise. Zwischendurch sieht man die Hilfesuchenden, die, die nicht wissen wohin und wie es weitergehen soll. Ab und zu erbarmt sich einer ihnen. Führt sie zur nächsten Haltestelle, damit sie ihre eigene Reise fortsetzen können. Die Anzeigetafel mit den Abfahrtszeiten ist leer. Es gab mal eine Zeit, da stand dort, wohin eine jede Reise zu gehen hat. Aber im Laufe des Einerleis eines Treibens wurde dies nur übersehen. So wurde der Betrieb eingestellt und den Menschen die Freiheit gegeben, selber herauszufinden, wo sie hin möchten und welchen Zug sie in freier Wahl betreten wollen. Die Rolltreppen in das Untergeschoss der eigenen Tiefe sind leer. Die Menschen strömen viel lieber auf den Gängen einer Gleichgültigkeit. Sie folgen der Masse. Und nur vereinzelt sehen wir jemanden, der weg von der Herde sich seine eigenen Gänge und Züge sucht. Die Meisten aber folgen dem Trott, wie es ein Jeder tut. So besuchen sie alle die gleichen Haltestellen und wenn sie denn mal reden, dann nur über die gleiche Reise, die sie alle angetreten sind. Ganz unten fährt der Zug zum eigenen Selbst. Keiner weiß, wohin die Reise geht. Welche Haltestellen angesteuert werden. Und so ist der Zugang von Spinnweben überzogen. Die Gleise sind verstaubt. Und nur selten sehen wir die Fußspuren einer verlorenen Seele, die sich auf diesen Pfad begeben hat. Wie in einem Museum bleiben die Spuren erhalten, da die Masse sich hier nun einmal nicht blicken lässt.

Wir kommen zurück in die Wirklichkeit. Die Augenblicke einer Realität. Einem Traum gleich, durften wir etwas schauen und betrachten. Es war nicht von weltumfassender Botschaft und es hat uns nicht aus den Kreisen unseres Lebens gerissen. Es war eine Möglichkeit, eine Wahrheit, eine Variable einer Gleichung, die Kreativität zu zeichnen weiß. Wir blinzeln und schütteln die müde Decke eines Traumes ab. Seine Umarmung war es, die uns schauen und betrachten ließ, was wir gerade erlebten. Und so, wie der Nachhall dieser Welt abebbt, so sehr umfängt uns die Stille erneut dieses Momentes. Wir räkeln uns, erheben uns langsam vom Grund der Erde und dann nur gehen wir einfach drauf los. Auf in die Weite einer Zukunft. Auf in die Größe einer Welt. Auf in die Reise des planlosen Zuges dessen Haltestellen die Mahnmale unserer Erinnerung sind.

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