Die Gefallenen – Nephilim

Die Klingen sausten hernieder, benetzten den grauen Asphalt mit dieser rotglühenden Flüssigkeit. In Rinnsalen, kleinen Flüssen der verendenden Leben suchte es sich den Weg hinab zu den Gullis. Tief in den Unrat, in den Dreck dieser Zivilisation, die obwohl im Höchsten ihres Schaffens, sich niemals des Abfalls, erwehren konnte. Wie ein Gegenspieler zu der höchsten Natur im strahlenden Sonnenschein, sammelte es sich dort. Die verdreckten, beschmutzten Produkte, die des Abfalls und viel mehr des Vergessens noch würdig waren.

Des Vergessens…
Er beobachtete, wie dieses Menschlein, sich krümmend am Boden wand und im Todeskampf den letzten Jauchzer tat. Ein erleichtertes Aufatmen für die Erlösung der Qual, der Angst, die ihn in seinen letzten Sekunden überrannt hatte. Sie lagen dort zu Hunderten. Die Menschen, die im Eifer des Kampfes, der mächtigen Kraft ihres Willens, die Schwerter erhoben hatten, um ihre Welt zu verteidigen. Ein kläglicher Versuch, der nur im Scheitern den größten Triumph fand. Gellende Schreie, von Panik erfüllte Stimmen, die den pechschwarzen Himmel um Errettung und Hilfe anriefen. Sie hofften noch, sie glaubten und sie baten noch. Er aber wusste es besser. Obwohl er sich ebenso wenig der Neugier erwehren konnte. Er wartete die ganze Nacht, diese Nacht des Schlachtens, der Hinrichtung und des Massakers, die sich am mittleren Tag gebildet hatte. Er, dort oben, er musste es hören, es spüren, wie eine jede Seele sich in ewiger Qual nur noch dem Tod hingeben konnte. Und wo blieb er? Wo waren seine Hände, seine Schwerter, die sich in Mitten dieses Bösen schlugen? Die Vollstrecker seiner Gerechtigkeit? Die das Böse in die Hölle schickten. Nicht verdammten, sondern quälend und in der Sünde frönend, im Blute dieser Ausgeburten badeten?

Zu hunderten, zu tausenden, da fielen sie. Die Städte, die Leben, die Menschen, Frauen, Kinder und auch die Neugeborenen. Nicht einer hatte es leicht, nicht einem wurde die Gnade des schnellen Todes geschenkt. Schmatzende Zähne, die sich in das Fleisch der Lebenden schlugen, die Blutströme die antworteten und die kleine Seele, die sich nur dem Tode noch zuwandte.

Ein gerechter Gott…
Das hatte er selber einmal geglaubt. Vor Jahrhunderten, vor Jahrtausenden, als man ihn zur Erde sandte, um den Menschen zu helfen. Ihnen das zu geben, was er nicht vermochte. Es mag sein, dass sie sich des Vergehens schuldig gemacht hatten. Aber das… diese Strafe? Verstoßen aus dem Himmel, geknechtet an diese sterbliche Welt, im Vergessen gefangen und auf ewig gebunden?
Nun, es war bald vorbei, nicht wahr?
Wenn diese Welt sich dem Untergang widmete, dann würde er wieder frei sein. Und er würde sich den Weg in den Himmel erkämpfen. Seinen Platz zurückerobern. Notfalls gegen ihn selber….Gefallene…Vergessene… Das wurde ihnen nicht gerecht. Einstmals, da waren sie Engel. Aber jetzt?
Wie lange noch?
Er brauchte sich nicht umzudrehen, um den Ursprung der Stimme zu erkennen. Ein treuer Gefährte war aufgetaucht. Ein Waffenbruder, wie auch er, in der Dunkelheit, den Schatten nun auf ewig gefangen.
Wie lange willst Du es noch zulassen? Wie viele Seelen müssen für Deinen Rachedurst bezahlen?“ Hakte er nach, diesmal eindringlicher und packte ihn an der Schulter.
Er schüttelte ihn ab, wandte sich ihm jetzt doch zu.
Barkayal! Dies ist nicht die unsere Welt, das weißt Du. Also was soll es uns kümmern? Soll er sich ihrer annehmen. Es sind doch seine Kinder, denen er das Leben schenkte.“ Er blickte hinter Barkayal und sah auch seine anderen Brüder. Kniend am Boden, den Griff ihrer Schwerter umklammert, bereit, für ihn in die Schlacht zu ziehen. Ein Wort von ihm und sie würden angreifen. Kakabel ,Ezeqeel ,Araqiel ,Shamsiel Sariel ….. Sie waren alle da. Die 200, die mit ihm in den Abstieg und die Verdammung gegangen waren.
Hör zu, … Hör genau hin.“ Sprach Barkayal.
Wimmernd und schreiend, wandten sich die Stimmen zum Himmel.
Und sieh zu, wenn Du es kannst.“ Fuhr Barkayal fort.
Und er tat es. Er sah die Frau, mit vor Schrecken geweiteten Augen, wie sie kämpfend und mit letzter Kraft die Straße entlang rannte. Die Arme um ein Bündel gelegt, das sie an ihre Brüste presste. Sie stolperte, zu sehr von der Hetze und Panik angetrieben und fiel. Die Arme nach oben gestreckt, das Bündel von sich entfernt, auf dass ihm nichts passiere. Das Tuch aus Leinen, verdreckt, einstmals, da war es weiß. Doch längst trug auch es den Schmutz dieser Welt. Eine Ecke nur, die verrutschte und ein Blick, der ihm gegönnt war. Ein Menschenkind, ein Baby. Unschuldig und im absoluten Gegensatz zu den schwarzen Wesen, die sich nun um sie einfanden. Er konnte ihren Hunger spüren. Ihre Lust zu töten und in der Sünde sich selber zu erlösen. Er sah ihre inneren Bilder, das spritzende Blut der Frau, das Massaker in Vollendung an der Unschuld dieses Babys.
Er hat sie erschaffen… aber wir haben ihnen die Freiheit gegeben. … Wozu, frage ich Dich, wenn wir sie jetzt sterben lassen? Wozu dann, haben wir uns mit ihnen gepaart, wenn wir sie jetzt ebenso nur verdammen…Wozu, das frage ich Dich, mein Bruder.“ Sprach Barkayal erneut.
Er blickte ihn an, einige Sekunden, die bereits das Urteil dort unten gefällt haben könnten. Aber die Zeit tat es nicht. Die Entscheidung lag bei ihm. Er seufzte nicht, anhand des Schicksals, das ihm nun auferlegt. Er fluchte nicht auf Grund der Verknechtung, die ihm den Zwang auferlegten. In ihm, da wand es sich. Und ebenso, da erwachte der Hunger.
Oh ja, einst, da waren sie Engel. Aber nun, nur verdammte, Rächer und Schwingen der Dunkelheit. Die Ewigkeit, die Schatten als einziger Hort. Nicht um sich zu verstecken, sondern um sich bei ihresgleichen zu finden.
Es war kein Licht, dass sich funkelnd nun über ihn legte. Kein magischer Schein, der ihn erhellte. Die pure Finsternis, das Böse, das ihm auf ewig nur diente, es brach heraus und nahm ihm die menschliche Gestalt.
Er sprang hinunter und tat sein Werk. Er metztelte, er badete im Blut des Grauens. Und er jauchzte nicht zum Himmel, weniger zur Hölle. Nur zu seinem Selbst, das sich endlich wieder nähren durfte. Einstmals des Himmels Werkzeug in den Händen, das Flammenschwert, es brannte, doch nur im Feuer der Schatten. Und es fraß sich hinein, in die Körper der Hölle. Die Dämonen der neuen Zeit und ließ nicht einen blutend am Leben. Nicht einer, der um Erlösung bitten durfte.
Die Frau, sie jammerte noch immer. Sie flehte und bat zum Himmel. Er nickte ihr zu, und folgte der Straße in die Stadt. Dort oben auf den Dächern, da sprangen sie in den Himmel. Die schwarzen Schwingen der Gefallenen, die der Nacht das letzte Licht nun raubten. Die 200, ein letztes Mal, da wollten sie den Menschen das Wissen, die Magie und die Freiheit bringen. Wissend, dass es niemals mehr der Himmel sein würde, der sie empfängt.

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