Vampirische Erlösung – Besuch der Vampirin

Er klappte das Buch zu. Nun, ein bißchen mehr Wissen hatte er jetzt schon. Es war ein Buch über Vampire. Aber alles waren nur Sagen, Vermutungen, Versuche einer wissenschaftlichen Erklärung. Aber irgendetwas Handfestes war nie dabei.

Er glaubte an Vampire und er würde sich nie davon abbringen lassen. Es gab sie.

Mitlerweile war er 40 Jahre alt. Es hatte alles gelesen, was es gab, jeden Film über Vampire gelesen. Aber der Wahrheit war er nie näher gekommen.

Wann seine Suche angefangen hatte?

Nun, als Kind, Jugendlicher schon. Er hatte sich immer dafür interessiert. Dann heiratete er, gründete eine Familie und er war glücklich.

Schmerzhaft erinnerte er sich, wie er nach Hause kam und seine kleine Tochter Diana ihm in die Arme sprang. „Papa,Papa“, rief sie dann immer. Seine Frau kam dann auch dazu, sein Engel und sie küssten sich.

Tränen rannen ihm die Wange herunter. Er wischte sie weg. Zehn Jahre waren sie verheiratet gewesen. Seine Tochter war nur sechs Jahre alt geworden. Dieser eine Tag……

Warum nur hatte er seine Frau die Überweisung machen lassen? Hätte er es doch selber gemacht….Vielleicht lebte er dann nicht mehr, aber seine Frau, seine Tochter.

Er hätte sofort getauscht. Sieben Jahre war es jetzt her und oft hatte er Gott verflucht, um einen Tausch gebeten. Aber nie war es erfüllt worden. Natürlich nicht.

Seine Frau und seine Tochter hatten eine Überweisung abgegeben, als die Bank überfallen wurde. Die Bankräuber nahmen Geiseln und als das Sonderkommando stürmte, eskalierte die Situation. Es wurden Sprengladungen gezündet und niemand entkam, alle wurden getötet. Das dachte man zumindestens. Ein Polizist erzählte ihm später, dass man nie genau feststellen konnte, ob die Täter tot der entkommen waren. Nahezu alle Leichen konnten identifiziert werden. Man habe aber nur eine Leiche gefunden, die nicht zuzuordnen war. Und es sollten sechs Täter gewesen sein. Die Polizei ging davon aus, dass die Täter zu nahe am Explosionsherd gewesen wären und deswegen nichts brauchbares übrig geblieben wäre.

Er glaubte das nicht. Diese Vermutung, dieses Wissen fraß an ihm, an seinem Verstand. Er verlor den Halt, in seiner Psyche, seinem Leben. Ein Jahr kam er in die Psychatrie, seinen Job verlor er. Sein Haus musste er verkaufen, davon lebte er jetzt.

Und seitdem suchte er nach Vampiren, Werwölfen, dem Übernatürlichen.

Wenn die Gesetze dieser Welt ihm nicht die Rache, die Gerechtigkeit, bringen konnten, die seiner Frau, seiner Tochter gerecht werden konnten, dann andere Mächte? Diese Hoffnung war das Einzige, was ihn am Leben hielt. Er wäre schon längst gegangen, hätte diese Welt verlassen, aber erst wollte er die verdiente Rache. Für ihn hatte diese Welt keine Bedeutung, keinen sinn mehr. Er wollte nicht mehr leben. Nur noch dieses eine Ziel, dann gehen. So war der Plan.

Er suchte und suchte, aber er fand einfach nichts Brauchbares. Das konnte doch nicht sein. Irgendwo musste doch die Wahrheit verborgen sein. Irgendwo der Knackpunkt, der ihm den Weg wies, ihm zeigte, wo er suchen musste. Aber er fand ihn einfach nicht.

Er spürte einen kalten Hauch im Nacken, seine Nackenhaare stellten sich auf, ein eisiger Schauer lief ihm den Rücken runter.

Er wollte sich umdrehen, aber da stand es, sie, schon vor ihm.

Eine Gestalt, eine Frau. Lange schwarze Haare , makelloser Körper, weiße Haut und blutrote Augen. Ihre eisgrauen Augen blickten ihn an und als sich ihre Mundwinkel zu einem Lächeln öffneten, sah er ihre spitzen Eckzähne.

Konnte das sein?

Er setzte an: „Bist Du…“ „Ein Vampir?“ Sie lachte. Es klang blechern, hohl und doch wie ein betäubendes Glockenspiel. „Warum stellst Du mir eine Frage, wenn Du es doch weisst?“

Würde sie mir helfen? Mich zu einem Vampir machen? Bekam ich meine Rache? War alles real? Tausend Gedanken schoßen gleichzeitig in mein Hirn. Ich wollte alles wissen. Ich zitterte vor Aufregung.

„Warum……warum bist Du hier?“, stammelte ich.

„Du hast mich, uns, gesucht. Hier bin ich.“ Sie sah mich dabei bezaubernd an. Ein aufreizendes Lächeln überflog ihre Gesichtszüge. Sie tänzelte in eine Umdrehung, verbeugte sich vor mir, dann wurde ihre Miene wieder eisern, bewegungslos. „Ich kann übrigens Deine Gedanken lesen. Deine ewige Suche, Dein Leid, wir konnten es alle hören, spüren, die ganze Zeit“, sagte sie.

„Komm her. ich werde Die helfen.“ Sie streckte mir die Hand entgegen. Ich stand von meinem Stuhl auf, ging um den Schreibtisch herum. Mein Blick war die ganze Zeit von ihrer Präsenz gefangen, ich konnte nirgendwo anders hinsehen. Sie war so bezaubernd, so ein Engel, dem irgendwie die Dunkelheit anhaftete. Ich nahm ihre Hand.

Sie war kalt, aber nicht unangenehm, gleichzeitig auch weich und vertraut. Sie zog mich an sich, umarmte mich.Sie war ein bißchen größer als ich. Diese Nähe zu ihr betörte mich. Ihr Geruch, diese Umarmung, die Augen, die in meine Seele zu blicken schienen. Es fiel mir verdammt schwer, was sinnvolles zu denken.

Ich spürte einen Luftzug. An den Schatten, die an uns vorbeizogen, nahm ich an, dass wir flogen. Wie wir durch das Fenster gekommen waren, fragte ich mich. „Ich Idiot“, es war ja auf. Ich sollte mein Gehirn mal anschalten, das hier war ein echter Vampir.

Wir landeten, ich spürte nichts davon, aber sie ließ mich los.

„Guck dich um,“ sagte sie. Wir standen auf irgendeinem Hochhaus. Ich blickte runter. Ich sah unendliche Schlangen von Lichterketten, Strassen überfüllt von Autos. Auf der anderen Seitem des Gebäudes war eine Wohngegend, etliche beleuchetete Fenster, das Treiben einer Stadt zur Nachtzeit. Diese Stadt kannte ich nicht, sie kam mir kein bißchen bekannt vor.

Ich guckte runter, gut 400 m über dem Boden waren wir, schätzte ich mal.

„Wo sind wir?“, fragte ich sie. Sie stand immer noch in der Mitte, musterte mich. „Ist das wichtig? Was siehst Du?“ ,entgegnete sie.

Ich blickte sie ahnungslos an. Was wollte sie wissen? „Autos, Häuser, Menschen. Ist es das, was Du wissen wolltest?“, fragte ich. Was sollte das jetzt hier werden? Sie soll mich einfach verwandeln.

„Stimmt genau. Was Du dort um uns herum siehst, ist das Leben. Es ist das Leben der Menschen, wie sie schlafen, träumen, fernsehen, irgendwohin fahren. Ihren Zielen, Träumen entgegen. Wo wir sind, stehen, das ist mein Leben, das, was Du willst. Fern von dem Allem. Einsam, immer beobachtend, aber nie mehr ein Teil davon. Außerhalb der Zeit, für immer,“ sagte sie.

„Aber das will ich doch“, stieß ich hervor. „Ich weiss, wie das ist, ich habe alles gelesen und mich dafür entschieden.“

„Du hast alles gelesen, aber verstanden hast Du doch nichts. Du willst kein Vampir werden. Du willst ein anderes Leben, weil Du Dein eigenes nicht mehr verträgst, weil Du dort keinen Platz mehr für Dich siehst. Es ist einfach für Euch Menschen, von uns zu träumen, Euch zu wünschen, wie wir zu sein. Denn dann müsst ihr keine Verantwortung übernehmen, für eine Welt, die nur ihr gestaltet, für ein Leben, aus dem ihr alles machen könnt.

Wir Vampire, sind was wir sind. Wir können uns nicht mehr verändern, entwickeln, Grosses vollbringen. Wir sind und bleiben für immer, was wir sind.

Aber ihr Menschen habt eine Wahl. Jeden Tag aufs Neue, jede Minute, jede Sekunde, könnt ihr euch entscheiden, etwas zu ändern. Einfach habt ihr es nicht. Ihr habt Höhen und Tiefen, Tiefschläge, Verluste, aber es liegt an euch, das zum Guten zu wenden. Alles was ihr braucht, ist in euch. Eine Seele, ein Ich?

Veränderbar, formbar, anpassungsfähig und von unglaublicher Stärke. Ihr nutzt dies einfach nicht. Ihr lebt, tagein, tagaus, gebt euch euren Medien hin, den Idealen, die ihr vorgegeben bekommt. Aber, wann lebt ihr denn endlich, wann denkt ihr und wann seid ihr endlich frei?“

Eine blutrote Träne verlässt ihr rechtes Auge, rinnt die Wange, den Backenknochen herunter. Sie wischt sie weg.

„Auch ich war einmal ein Mensch. Es ist Jahrhunderte her. Was glaubst Du, ist der größte Traum eines Vampires? Wieder ein Mensch sein zu dürfen. Wir leiden anhand jedes Lebens, dass wir auslöschen müssen. Fühlen Trauer und Schmerz jedes Menschen mit, wenn wir sein Blut trinken. Wir müssen dies ewig machen und für immer in der Dunkelheit leben.

Du aber nicht. Du hast noch eine Chance.

Ich werde Dir die Rache geben, die Du verdienst. Und ich mache Dir ein Geschenk. Wenn Du jemals sterben willst, rufe mich und ich werde Dir Frieden geben, ein sanftes Ende. Aber bitte, lebe bis dahin. Schmeiss es nicht weg, Du hast nur ein Leben.“

Nach diesen Worten schnellte sie auf mich zu. Ich spürte zwei sanfte Stiche am Hals und ein sehr erlösendes, befreiendes Gefühl. Meine Gedanken wurden träge, meine Sicht verschwand und ich wurde in einen Strudel aus Schwärze gezogen.

Ich schreckte hoch, blickte mich um. Ich saß an meinem Schreibtisch, war wohl eingeschlafen. Ein Blick auf die Uhr, die mir die 13 zeigte. Ich war zu lange aufgeblieben. Da lag auch noch das Buch über Vampire. Was für ein verrückter Traum.

Mein Telefon klingelte. Ich nahm es von der Station, irgendeine Festnetznummer. „Bestimmt wieder irgendein Amt, die nerven ja immer,“ dachte ich. Ich nahm ab. „Ja.“

„Guten Tag. Hier ist Jomaer. Sie erinnern sich vielleicht? Ich habe damals den Banküberfall bearbeitet, bei dem Ihre Frau starb,“ sagte er. „Ja ich erinnere mich,“ entgegnete ich, „was gibt es ?“

„Es freut sie sicher zu hören, dass wir die Bankräuber haben?“ „Aber….wie? Ich dachte die wären tot?“ ‚Stotterte ich.

„Nun, jetzt sind sie es. Wir bekamen einen Tipp mit eindeutigen Hinweisen, der uns zu einem Lagerhaus führte. Die Beute war zum Teil noch da. Geld und Schmuck. Die Täter waren allerdings alle tot. Wir untersuchen das noch, aber seltsam ist es schon. Alle waren bewaffnet, aber so wie es aussieht, hat nicht einer einen Schuss abgegeben. Und ich kann ihnen so viel sagen, sie sind sehr schmerzhaft gestorben. Das wünscht man keinem Menschen, egal was er getan hat. Nun ja, wir klären das sicher auf, egal was da passiert ist. Bei der Sicherstellung der Beute ist auch der Ehering ihrer Frau aufgetaucht, so wie ein Medaillon mit Familienbild. Wir brauchen es im Moment noch für die Beweisaufnahmen. Sie wissen schon, Fingerabdrücke, DNA, das Übliche halt. Aber die nächsten Tage könnten Sie es abholen kommen. Ich vermute, dass sie es wiederhaben möchten?“

Ich brauchte einen Moment. Kein Traum? War das real? „Herr Maniro? Sind sie noch da?“, klang es aus dem Telefon.

„Aber sicher. Ich möchte es natürlich wiederhaben, wenn sich das einrichten lässt. Rufen Sie mich an, wenn ich es abholen kann.“ Meine Antwort.

„Mit Verlaub, wenn ich das so sage. Aber diese Typen haben nur das bekommen, was sie verdient haben, so sehe ich das. Noch einen schönen Tag.“ Es knackte in der Leitung. Ich legte das Telefon weg.

Ich erinnerte mich an meinen Traum, oder war es keiner ? Ich ging mir mit meiner rechten Hand an den Hals, es schmerzte, fühlte sich nass an. Ich nahm langsam die Hand wieder weg, betrachtete sie. Blut….. Ich wusste, wovon das stammte, konnte es aber nicht glauben. Und dann erinnerte ich mich wieder an alles. An den Biss, das Gespräch, den Flug, ihr Versprechen.

Erleichterung erfüllte mich. Ich spürte so etwas wie Frieden und auch Glück. Ich hatte das gefunden, was ich gesucht hatte. Aber gebracht hatte es mir was Anderes.

Ich sollte leben? Jetzt wollte ich es. Für meine Frau, für meine Tochter. Sie beide hatten ihm mehr geschenkt, als er sich jemals erhofft hatte. Sie hatten ihn leben lassen, ihn glücklich gemacht. Nie würde er sie vergessen. Sie waren in ihm, für immer mit ihm verbunden. Ich musste weinen. Nicht aus Trauer, nun, ein Stück weit doch, aber eher aus Glück. Ich spürte den Gewinn, all die schöne Zeit, all die schönen Momente, die sie zusammen gehabt hatten. Ich hatte es die letzten sieben Jahre nicht sehen, fühlen können. Ich hatte mich und meine Familie verraten. Das würde ich nicht mehr zulassen. Ich wischt mir die Tränen weg.

Ich nahm mir einen College Block. Die Welt sollte es wissen, an seiner Erfahrung teilhaben und auch daraus lernen. Vielleicht konnte ich so anderen Menschen helfen, wie die Vampirin es bei mir tat? Ich wusste es nicht. Aber ich hoffte es und so begann ich.

Der Füller kratzte über das raue Papier, schwungvoll bildete sich das Abbild einer Geschichte.

„Er klappte das Buch zu. Nun, ein bißchen Wissen hatte er jetzt schon…….“

Er schrieb Seite um Seite und spürte dabei eine Kraft, ein Wissen, wie schon lange nicht mehr und auch endlich Hoffnung.

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